Was ist los im Iran? Die Hintergründe der Proteste und die westlichen Narrative
von Rainer Rupp
übernommen von RT Deutsch
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Wer immer noch glaubt, dass die allabendlich ausgestrahlten, so genannten Nachrichtensendungen des ZDF – Spötter sprechen von “Zentralem Dummfunk” – oder der ARD – auch gerne als “Allgemeiner Regierungsdienst” geschmäht – tatsächlich Nachrichten liefern statt Propaganda, der glaubt auch an die Glücksfee Merkel, dank deren Zauberkraft wir “in Deutschland gut und gerne leben”. Wer sich jedoch über aktuelle Konfliktherde informieren will – wie derzeit über den Iran – der ist bei den staatlichen Sendern fehl am Platz.
Allerdings sitzt in der Iranfrage die amtierende Bundesregierung derzeit zwischen zwei Stühlen. Einerseits verweist die deutsche Industrie seit der Aufhebung der UN-Nuklearsanktionen auf sehr verlockende Großaufträge des kaufkraftstarken Öl- und Gasproduzenten Iran. Aber andererseits will man es sich in Berlin mit der Anti-Iran-Achse aus Washington, Israel und Saudi-Arabien nicht verderben. Diese Unentschlossenheit wird auch in der aktuellen öffentlichen Berichterstattung über Iran reflektiert. Zudem werden die Unruhen im Iran in den pro-israelisch gestimmten Zirkeln in Washington immer noch anders bewertet als in Brüssel oder Berlin.
Verhältnismäßige verbale Zurückhaltung
Vor diesem Hintergrund hält sich die Intensität der medialen Hasspredigten von ARD und ZDF gegen die “Machthaber” in Teheran noch einigermaßen zurück. Die in solchen Fällen üblichen Steigerungsstufen wie “Gewaltherrscher”, “Schlächter” oder “neuer Hitler” sind noch nicht erreicht. In den Redaktionsstuben der Öffentlich-Rechtlichen wartet man offensichtlich noch, bis die politischen Führungsstellen der so genannten Westlichen Wertegemeinschaft sich auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt und das Signal zum medialen Abschuss des “Regimes in Teheran” gegeben haben, weil dieses “auf das eigene Volk schießen lässt”.
Bis zur endgültigen Positionierung der Bundesregierung will man sich jedoch alle Türen offenhalten. Das erklärt, warum die “Nachrichten”-Macher aus ARD und ZDF den interessierten, aber wenig sachkundigen Zuschauer oder Leser mit einer Unmenge an Detailinformationen über den Iran bombardieren, was den Eindruck einer umfassenden Information vermitteln soll, faktisch aber das Gegenteil bewirkt. Im angelsächsischen Sprachgebrauch wird diese Methode als “to blind someone with knowledge” bezeichnet – jemanden mit Wissen blind machen.
Viele Daten, wenige Zusammenhänge
Verfolgt man die derzeitige Iran-Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen, überschütten diese den Zuschauer und Webseitenleser mit Infohäppchen wie mit einer Unzahl von Puzzlesteinchen, für die es aber kein Bild und keine Vorlage gibt und die folglich schwer einzuordnen sind. Zugleich stiften sie durch falsche Schwerpunktsetzung und durch Auslassung wichtiger Hintergründe zusätzlich Verwirrung. So werden z. B. die geopolitischen Strippenzieher der Unruhen – vor allem die in Washington, Israel, Saudi-Arabien, in Paris und London – entweder gar nicht erwähnt oder sie treten als um Demokratie und Menschenrechte besorgte Politiker auf.
Die Berliner Rücksichtnahme auf Staaten, die im Nahen Osten um den ersten Platz als politischer Sponsor, Financier und Ausbilder von ISIS oder anderen islamistischen Terroristen rivalisieren, hat ihren guten Grund. Schließlich steht die Sicherheit Israels ganz oben auf der Liste der “nationalen Interessen” der Bundesregierung. Auch der Vorbild-Staat für Demokratie und Menschenrechte, Saudi-Arabien, ist Deutschlands “strategischer Partner” und vor allem die USA als unser wichtigster NATO-Verbündeter sind bei den vielen noch geplanten imperialen Abenteuern unverzichtbar.
Zum Verständnis der aktuellen Vorgänge im Iran ist es wichtig zu wissen, dass die im Westen gängige Einteilung von politischen Parteien nach dem Rechts-Links-Schema nicht anwendbar ist. Als “links” werden im Westen gemeinhin gesellschaftlich fortschrittliche Parteien bezeichnet, die sich – je nach Ausrichtung – einer sozialen Markt- bis hin zu einer sozialistischen Planwirtschaft verpflichtet fühlen. Das heißt: Sie streben ein Wirtschaftssystem an, das vor allem der breiten Masse der unterer Bevölkerungsschichten wirtschaftlich und kulturell zugutekommt. Als “rechts” gelten Parteien, die gesellschaftlich konservativ sind und der so genannten freien, d. h. der ungezügelten Marktwirtschaft den Vorzug geben, die wiederum vor allem die besitzende Klasse, also die begüterte Oberschicht und die reicheren Segmente der Mittelschicht begünstigt.
Rechts-Links-Achse nicht auf Iran übertragbar
Die politischen Lager im Iran sehen dagegen ganz anders aus. Die Konservativen, vor allem die religiösen Parteien, sind kulturkonservativ, aber wirtschaftlich setzen sie sich für Programme zugunsten der Unterschicht und der Armen ein. Ihre Unterstützungsbasis finden die Konservativen in der Landbevölkerung, vor allem unter den Landarbeitern sowie den Industriearbeitern und den ärmeren Schichten der Stadtbewohner. Der letzte iranische Präsident, der aus diesen unteren Bevölkerungsschichten kam, war der kulturpolitisch erzkonservative, aber sozialpolitisch scharf linke Mahmoud Ahmadinedschad, der u. a. mit seiner Einführung von Barzahlungen an Bedürftige für den Kauf von Nahrungsmittel und anderen lebenswichtigen Gütern iranische Sozialgeschichte geschrieben hat.
Mit der Wahl des derzeitigen iranischen Präsidenten Rohani kam ein Hoffnungsträger des Westens in Teheran an die Macht. Er ist Mitglied des so genannten reformistischen Lagers, das seine Unterstützungsbasis bei den “Bazaris” hat, den kleinen und großen Kaufleuten und den anderen besitzenden Teilen der Gesellschaft hat. Kulturell ist er relativ fortschrittlich, aber seine Wirtschaftspolitik ist im Grunde neoliberal. Der neue Haushalt, den Rohani jüngst für 2018 vorgelegt hat, schafft die meisten von den Ahmadinedschad-Subventionen für die Armen wieder ab. Dadurch würden die ohnehin bereits stark gestiegenen Preise für Treibstoff und Grundnahrungsmittel um 25 bis 40 Prozent höher. Nachdem diese düsteren Aussichten publik geworden waren, kam es zu den ersten großen Protesten am 28. und 29. Dezember.
Proteste gegen soziale Verschlechterungen nicht ungewöhnlich
Bei den Massenkundgebungen der letzten Tage im Dezember 2017 richteten sich die mitgeführten Plakate und die skandierten Slogans ausschließlich gegen die sozialen Kürzungen und einige andere wirtschaftliche Entwicklungen. Vereinzelt zielten Proteste auch direkt auf Präsident Rohani und dessen Sozialabbau. Derartige Demos der Unterschicht gegen soziale Missstände hat es im Lauf der letzten Jahrzehnte im Iran immer wieder mal gegeben. Neu ist diesmal nur, dass gut organisierte kleine Gruppen mit einer offensichtlich ganz anderen politischen Agenda versucht haben, sich an die Spitze dieser Massendemonstrationen zu setzen und diese für ihre Ziele zu instrumentalisieren.
Mit lautstarkem Skandieren von Slogans gegen das iranische Regierungssystem und gegen Teherans starkes Militärengagement gegen die sunnitischen Terrorgruppen im Irak und in Syrien haben diese kleinen Gruppen versucht, der einheimischen und internationalen Öffentlichkeit den Eindruck einer Massenbewegung vorzutäuschen. Tatsächlich aber sind diesbezüglich die Mehrheitsverhältnisse in dem 80-Millionen-Volk Iran ganz anders verteilt. Jüngsten Umfragen zufolge ist nämlich in den letzten 12 Monaten die Unterstützung der iranischen Bevölkerung für die Militärhilfe ihres Landes im Irak und in Syrien kräftig gestiegen: Laut Umfragen sagten knapp 68 Prozent, dass der Iran die Militärunterstützung gegen ISIS und andere Gruppen islamistischer Terroristen sogar noch weiter erhöhen sollte; vor einem Jahr waren das erst knapp 60 Prozent. Soweit eine grobe Übersicht über die Lage.
Nun sollten wir uns mal anschauen, welches Bild z. B. der “Allgemeine Regierungsdienst” ARD von der Lage im Iran zeichnet. Dort heißt es, dass die Menschen zwar “über ihre wirtschaftliche Lage enttäuscht” seien, sich aber “ihre Kritik […] auch grundsätzlich gegen den herrschenden Klerus richtet”. Auf die selbst gestellte Frage “Was ist über die Demonstranten im Iran bekannt?”, gibt die Tagesschau-Webseite “Iran – Frage und Antworten” gar nicht erst eine Antwort. Statt einer gesellschaftspolitischen Analyse wird unter der Überschrift “Wer sind die Demonstranten?” nur von einer “breiten iranischen Öffentlichkeit” gefaselt, die vereint in ihren Protesten gegen die Regierung sei.
Außenpolitik spielt untergeordnete Rolle
In einem anderen Abschnitt vermittelt ARD zwar in korrekter Weise, dass dabei “ursprünglich wirtschaftliche Themen im Mittelpunkt” standen. “Der Unmut” habe sich “gegen die vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit, Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln wie Eiern und einen Vorschlag der Regierung, die Treibstoffpreise zu erhöhen”, gerichtet. Leider bleibt jegliche politische Analyse des Sozialabbaus aus. Stattdessen vermittelt man sofort im Anschluss der Eindruck, dass alle Massendemonstrationen sich dann auch gegen die Außenpolitik der Regierung in Teheran gewandt haben. Im ARD-Originaltext heißt das so:
Später kamen politische Themen hinzu, etwa die Kritik am seit 1979 herrschenden Klerus. Einige Demonstranten zeigten sich erzürnt wegen der finanziellen Hilfen für die Palästinenser und die Hisbollah-Miliz im Libanon. Sie fordern von der Regierung, sich stattdessen auf innenpolitische Themen zu konzentrieren. Auch Rücktrittsforderungen an den religiösen und politischen Führer Ayatollah Ali Khamenei wurden laut.
Tatsächlich haben sich bereits in den ersten Januartagen 2018 die zuvor in vielen Städten des Landes stattfindenden Massenproteste gegen den Sozialabbau aufgelöst. Allerdings demonstrieren und randalieren kleine und gut organisierte Gruppen lautstark weiter. Zusammen mit ihren westlichen Helfern fertigen sie seither Bilder und Videos, die den Eindruck vermitteln sollen, dass die Massenproteste – jetzt auch gegen die Außenpolitik – nicht nur weitergehen, sondern auch brutal niedergeschlagen werden. Sogar Fotos von gewalttätigen Polizeieinsätzen der Guardia Civil in Barcelona jubelt man inzwischen den naiven Betrachtern in den sozialen Medien als Beweis für die Brutalität der iranischen Sicherheitskräfte unter.
Regimewechsel unwahrscheinlich, weitere Sanktionen denkbar
Dennoch: Eine Farbrevolution oder ein gewalttätiger Umsturz hat im Iran so gut wie keine Erfolgschancen. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Anti-Iran-Achse vor allem aus dem zu erwartenden, spektakulären Scheitern der Unruhen ihren Honig saugen will, indem sie nämlich die Niederschlagung der Revolte als Vorwand für zusätzliche Sanktionen und andere anti-iranische Maßnahmen nutzt.
Washingtons Antrag vom 2. Januar auf eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats zur Lage im Iran, natürlich aus Sorge um Demokratie und Menschenrechte, ist bereits ein erster Schritt in diese Richtung. Vieles deutet darauf hin, dass die aktuellen Vorfälle nur ein Teil eines viel größeren Plans gegen den Iran sind. Darauf, vor allem auf die westliche Wühlarbeit, werde ich in einem weiteren Beitrag in den nächsten Tagen eingehen.
Eine von Israels Nationalem Sicherheitsberater angeführte Delegation traf Anfang Dezember in Washington mit hochrangigen Mitarbeitern des Weißen Haus zusammen. Hauptthema war – so einer der US-Beamten gegenüber der israelischen Tageszeitung Haaretz– eine „gemeinsame Strategiediskussion gegen die iranische Aggression im Nahen Osten“. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die beiden größten und skrupellosesten Aggressoren und Staatsterroristen beschuldigen den Iran, das seit über hundert Jahren kein anderes Land angegriffen hat, der Aggression. Worin besteht dann die Aggression des Irans? Offensichtlich darin, dass sich die Islamische Republik nicht den US-globalen und israelischen regionalen Hegemoniebestrebungen unterwirft und sich wehrt.
Weiter habe der leitende US-Regierungsbeamte gegenüber Haaretz betont, dass diese Art der „Diskussionen“ in den nächsten Wochen und Monaten noch intensiviert würde. Dabei ginge es auch darum zu prüfen, welche Aussichten Präsident Trumps “umfassende Iran-Strategie” hat, den iranischen Aktivitäten in Syrien entgegenzuwirken. Dass zu dem „Entgegenwirken“ auch die Ermordung weiterer, führender iranischer Persönlichkeiten gehört, legt ein weiterer Bericht aus Israel nahe, der in den ersten Tagen des neuen Jahres in örtlichen Medien zirkulierte, in englischer Sprache auch in der Times of Israel.
Demnach haben US-Geheimdienste Israel grünes Licht gegeben, um den obersten militärischen Offizier der iranischen Revolutionsgarde, Generalmajor Qassem Soleimani, zu ermorden. Soleimani, der von der großen Mehrheit der Bevölkerung hochverehrt wird, ist der Führer der al-Quds-Eliteeinheit der Revolutionsgarde und koordiniert deren militärische Aktivitäten zwischen dem Iran und Syrien, dem Irak, der Hisbollah und der Hamas. In seiner Position, die er seit 1998 innehat, untersteht er nur noch dem Obersten Führer des Irans, Ali Khamenei.
Soleimani gilt als die Schlüsselfigur bei der iranischen Unterstützung der Syrisch-Arabischen Armee bei den Bodenkämpfen zur Befreiung der Gebiete, die noch bis vor kurzem von ISIS und anderen, vom Westen unterstützten Terrorgruppen besetzt waren. Zugleich hat man in Tel Aviv nicht vergessen, dass es die iranische Hilfe für die Hisbollah war, die dazu geführt hat, dass sich die glorreiche israelische Armee bei ihren Aggressionen im Südlibanon eine blutige Nase geholt hat und sich nach hohen Verlusten zurückziehen müsste. Iranische al-Quds-Einheiten hatten zuvor Hisbollah-Kämpfer ausgebildet und mit Militärtechnik unterstützt und so im Süd-Libanon die Grundlage für den genial organisierten Widerstand gegen die israelischen Invasoren geschaffen. Kein Wunder also, dass die israelischen und westlichen Staatsterroristen General Soleimani ganz oben auf ihrer Liste „iranischer Terroristen“ führen.
Derweil brüsten sich die Israelis damit, dass sie schon Duzende von führenden iranischen Atom- und Raketenwissenschaftlern ermordet haben. Die Tatsache, dass nun auch Soleimani auf die Todesliste der israelischen Mörderbande gesetzt wurde, dürfte jedoch höchstens ein Randthema der bereits erwähnten „Intensivierung“ der geheimdienstlichen US-israelischen Absprachen gegen Teheran gewesen sein, denen nur wenige Wochen danach Massendemonstrationen in allen größeren Städten des Irans folgten. Das kann natürlich reiner Zufall sein. Ein Schurke, wer Böses dabei denkt? Um dieser Frage nachzugehen, sollten wir uns mal ansehen, welche Optionen die US-amerikanischen und israelischen Kriegstreiber gegen den Iran haben. Dazu gibt es von US-regierungsnahen Denkfabriken eine Reihe von interessanten Analysen.
Auf zwei dieser Umsturzstudien soll hier kurz eingegangen werden. Es empfiehlt sich daher, die Dokumente in ihrer Gesamtheit zu lesen, erschließt sich dadurch doch der Zugang zu der in Washington herrschenden kriminellen Denkweise.
Die erste Studie mit 170 Seiten hat die renommierte Brookings Institution im Juni 2009 unter dem Titel: „“Welchen Weg nach Persien? – Optionen für eine neue amerikanische Strategie gegen den Iran veröffentlicht. Sie stellt eine Blaupause für den Umsturz in Teheran dar. Die zweite Studie mit nur 24 Seiten Umfang stammt vom libertären CATO-Institut. Sie wurde im Oktober 2017 unter dem Titel „Nicht erzwungener Fehler: Die Risiken der Konfrontation mit dem Iran“ publiziert. Während das Brookings-Dokument auch heute noch ein Handbuch für den Sturz von Regierungen in anderen Ländern darstellt, ist das CATO-Papier in Bezug auf den Iran realistischer geworden.
Beide Studien kommen zu dem Schluss, dass eine offene US-Aggression, egal ob ein einmaliger, massiver Angriff oder eine großangelegte Invasion wie im Irak im Fall des Irans für die USA nur schlechte Optionen bietet. Während Brookings jedoch davon ausgeht, dass Wirtschaftskrieg und Sanktionen gegen den Iran, kombiniert mit interner Destabilisierung, ein gangbarer Weg zum Ziel sind, kommt die CATO-Studie im Licht der Entwicklungen seit 2009 zum Ergebnis, dass Washington keine Optionen zum Regimewechsel im Iran hat. Stattdessen empfiehlt CATO, dass die US-Regierung den Iran so akzeptiert, wie er ist und sich Teheran im gleichberechtigten diplomatischen Dialog nähern soll. Aber dafür scheint in Washington noch jegliche Bereitschaft zu fehlen. Vielmehr deutet viel darauf hin, dass man sich weiterhin an die „bewährten“ Regime-Change-Anleitungen von Brookings hält.
Das Brookings-Papier ist in vier Kapitel unterteilt:
• Teil I – Teheran umstimmen: Die diplomatischen Optionen. (Womit Sanktionen gemeint sind.)
• Teil II – Entwaffnung Teherans: Die militärischen Optionen. (offene Aggression)
• Teil III – Umsturz in Teheran: Regime Change (verdeckte Operationen)
• Teil IV – Abschreckung von Teheran: Eindämmung
Unter Kapitel Teil III finden wir drei Abschnitte, die aktuell mit Blick auf den Iran besonders relevant sind:
Abschnitt 6: „Die samtene Revolution: Unterstützung eines Volksaufstandes“
Abschnitt 7: Anzettelung eines Aufstandes: Unterstützung von iranischen Minderheiten und Oppositionsgruppen.
Abschnitt 8: Der Staatsstreich: Unterstützung einer bewaffneten Bewegung gegen das Regime“, (womit ein „Bürgerkrieg“ à la Syrien gemeint ist.)
Zu Punkt 6, „samtene Revolution”, sei angemerkt, dass diese schon mal als „grüne Bewegung“ im Jahr 2009 im Iran versucht wurde. Revoltieren tat die „progressive“ Jugend begüterter Eltern. Die iranische Farbenrevolution scheiterte kläglich, vor allem weil die Masse des iranischen Volkes nicht davon überzeugt werden konnte, dass es kein vom Ausland gesteuerter Versuch war, die Islamische Republik zu stürzen.
Was wir aktuell im Iran sehen, erscheint als eine Kombination aus den Kapiteln 6 und 7 des Brookings-Plans. Hinter der populären Bewegung der Armen, Tagelöhner und Arbeiter gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik der Rohani-Regierung hat sich eine andere kleine Bewegung aus einer Gruppe von gewaltbereiten Leuten formiert, die den Sturz der Regierung und des Systems fordern.
Das Agieren dieser militanten Gruppen aus der Deckung der Massen heraus gehört zur üblichen Eskalationsstrategie der Provokateure. Denn wenn die Sicherheitsorgane durch ungeschicktes Vorgehen die Provokateure mit der Masse der friedlichen Demonstranten in einen Topf werfen, dann ist die Eskalation gelungen. Wenn dann auch noch einige Provokateure in beide Richtungen schießen, auf die Polizei und auf friedliche Demonstranten, dann kann die Lage schnell unkontrollierbar werden. Eine ähnliche Kombination haben wir bereits in Libyen, zu Beginn des Angriffs auf Syrien und in der Ukraine auf dem Maidan gesehe
In einem ausführlichen Artikel vom 2. Juni 2017 berichtete die New York Times, dass die CIA eine spezielle Operationszelle für solche Angriffe auf den Iran eingerichtet hat. Dies spiegle die Entscheidung der Trump-Regierung wider, die Islamische Republik zu einem vorrangigen Ziel amerikanischer Nachrichtendienste zu machen, d. h. für verdeckte Operationen. Kosten für die Ausstattung des neuen „Iran Mission Centers“ der CIA wurden offensichtlich nicht gescheut. Analysten, Einsatzpersonal und „Spezialisten“ aus der gesamten „Agency“ sollten in dem Zentrum zusammengebracht werden, um das volle Spektrum der Fähigkeiten der Verbrecher-Agentur zur Geltung zu bringen.
Der Leiter des neuen Zentrums, Michael D’Andrea, ist einer der rücksichtslosesten CIA-Offiziere überhaupt. In einschlägigen Kreisen hat er den Spitznahmen “Schwarzer Prinz” oder – wegen seines Übertritts zum Islam – auch “Ayatollah Mike“. Ein ehemaliger CIA-Kollege schwärmte gegenüber der New York Times: “Er kann ein sehr aggressives Programm führen und dabei sehr smart sein”. Damit bezog er sich sicher auf D’Andreas frühere Tätigkeit in der „Agency” als Leiter der „Abteilung Gegenterror“ und später als Chef der CIA-Killerdrohnen-Einsätze, die auf bloßen Verdacht Tausende angeblicher Islamisten und wahrscheinlich ebenso viele Zivilisten ermordet haben. D’Andrea gilt auch als Kopf hinter der Zusammenarbeit der CIA mit islamistischen Wahhabiten, die sich vor allem durch Kopfabschneiden von Menschen anderer Religionen in Libyen, dem Irak und Syrien einen Namen gemacht haben.
Mit seiner kalten Effizienz und extremer Skrupellosigkeit bringt Mr. D’Andrea zweifelsfrei die richtigen Qualifikationen mit für seine neue Rolle als Chef des harmlos klingenden „Iran Mission Centers“. Schon im Juni werteten Beobachter seine Berufung in den neuen Job als Signal für „muskulösere“ Spionageaktionen und verdeckte Operationen gegen den Iran. Das lag ganz auf der Linie des von Trump eingesetzten neuen CIA-Chefs Mike Pompeo, der schon als republikanischer Kongressabgeordneter bei jeder Gelegenheit auf eine härtere Gangart gegen den Iran gedrängt hatte. Dazu scheint D’Andrea der richtige Mann zu sein.
Als daher am 30. Dezember vor dem Hintergrund der ersten Massendemonstrationen eine obskure sunnistische Terrorgruppe eine Öl-Pipeline im Südwesten den Irans in der Nähe der irakischen Grenze in die Luft jagte, dachte jeder sofort an die Handschrift von D’Andrea. Reklamiert wurde der Terrorangriff von der „Ahwaz-Märtyrer-Brigade“, die angeblich zu „Ansar al Furqan” gehört. In der iranischen Region Ahwaz stellen seit Urzeiten ethnische Araber einen großen Teil der Bevölkerung. Sie sind eine der vielen kleinen Minderheiten, die es im Irak gibt. Wer fühlt sich da nicht an Abschnitt 7: „Anregung eines Aufstandes: Unterstützung von iranischen Minderheiten und Oppositionsgruppen“ des Kapitels III – „Umsturz in Teheran: Regime Change“ des Brookings-Umsturzplans erinnert?
Die Terroristen der Gruppe „Ansar al-Fruqan“ sind aus der 2010 eliminierten Terrorgruppe „Jundallah“ hervorgegangen, die schon damals von US-amerikanischer Unterstützung profitiert hatte. Jundallah hatte hunderte iranische Beamte und Zivilisten umgebracht. Ihr Anführer wurde 2010 getötet, und seitdem haben sich überlebende Mitglieder in „Ansar al-Furqan“ oder in anderen Gruppen zusammengefunden. Der bekannte investigative Journalist Mark Perry berichtete 2012 unter Berufung auf ihm zugespielte CIA-Memoranda, dass die „Agency“ und der israelische Mossad Jundallah-Terroristen unter falscher Flagge für Anschläge gegen iranische Beamte und Objekte angeworben hatten.
Es waren Mossad-Agenten, die unter Vertuschung ihrer israelischen Herkunft Jundallah-Terroristen anwarben, um iranische Nuklearexperten im Iran zu töten. Wen sollte es da überraschen, dass eine Jundallah-Nachfolgegruppe wieder gegen iranische Objekte aktiv wird, genau in dem Moment, in dem der Mossad und die CIA ihre „gemeinsame Strategiediskussion gegen die iranische Aggression im Nahen Osten“ intensivieren.